LVM IV/6 Obstinatio - Compunctio Cordis
Das sechste Bild hatte tatsächlich Büffelform. Es sprach:
OBSTINATIO - Aufsässigkeit
Weder Übermaß noch Überfluss
verschiedener Sachen und Dinge trage ich in mir.
Aber sage ich das, bin ich nicht fähig,
es gelassen, sanft vorzutragen.
Wäre Erde stets weich von Feuchtigkeit und Regen,
hätte keine Härte, wäre sie nutzlos.
Denn keineswegs kann sie so Frucht tragen.
Oder wäre sie zart, flössen Wasser über sie,
zerstörten sie ganz.
Verletzt anhaltender, unbeständiger Regen Erde sehr,
wie schadet mir,
in jedem beliebigen Anliegen nicht weich zu sein?
Kann ich nicht seufzen, ist es so.
Weine ich nicht, macht mir das keine Sorge.
Viele durchwandern Traurigkeit.
Viele werden tränen-schwach.
Wie sehr Gott aller Gnade vorstehen will,
so sehr stehe er ihr vor.
Was soll ich so anhaltend dafür arbeiten?
Was soll ich für etwas arbeiten,
das ich nicht vollenden kann?
Sucht jemand, was er nicht finden kann,
nützt es ihm nichts.
Wieder hörte ich, wie aus der Sturmwolke
eine Stimme diesem Bilde Antwort gab:
COMPUNCTIO CORDIS – Herzens Erschütterung
Bitternis, wer bist du, dass du sagst,
du kannst dich nicht in deinem Leben mühen,
wenn alle Vögel, Fische, Haustiere und Wild,
Würmer und Eidechsen sich Mühe geben,
um zu leben?
Küken bitten von ihren Müttern Speise.
All ihre Grünkraft fordert Erde von der Luft.
Warum nennt man Gott "Vater",
wenn nicht darum, dass Ihn seine Kinder rufen?
Er ihnen in seiner Gnade Gutes angedeihen lässt?
Sie erkennen, dass er Gott?
Warum wehrst du dich gegen Gott?
Tau seines Segens trinke ich,
sage ihm mit froher, tränengetränkter Stimme:
Gott, hilf mir.
Und Engel antworten mir mit Orgelklang.
Loben Gott, weil ich ihn rufe.
Dann leuchtet mir auch seiner Gnade Morgenrot, des Lebens Speise gibt er mir.
Nicht schwach zu sein, habe ich von ihm erbeten.
Weil du von selbst aber nichts suchst,
wird dir nichts gegeben.
Hildegard von Bingen - LVM IV